Jenes volle satte Gelb

10 Das war ärgerlich aber nicht wichtig. Genauso wenig wie der Umstand, dass in demKunstgewerbeladen die Seen, Kiefern und anderen landschaftlichen Liegenheiten verdrängt worden waren von den tausenderlei Abbildungen jenes Königs, der die Stadt berühmt gemacht hatte. Zu Pferde, zu Fuß, mit dem Krückstock in der Hand oder dem Marschallstab, mit kühn blitzenden oder misstrauisch blinzelnden Augen, von vorne, im Profil, hochauf- gerichtet oder von der Gicht gekrümmt, alleine und von seinen Generalen umgeben, auf dem Schlachtross und vor dem Schloss – dieser König war in seiner banalen Vervielfachung der Präge- stock, der der Stadt den Stempel der Echtheit aufdrückte. Dass die Scharen auswärtiger dialektbewehrter Besucher sich über die Dutzende von Bildern und Figürchen lustig machten, war ihm aber auch nicht recht. Was hatten diese Sachsen und Schwaben, diese Bayern und Rheinländer, die jetzt so kurz nach der Öffnung der Grenze seine Stadt bevölkerten, hier zu suchen? Irgendwann würde der Rummel sich legen. Wichtig war allein, dass die Häuser überlebt hatten, die zweistöckigen klei- nen Häuser mit dem Laden im Erdgeschoss, der Wohnung dar- über und der Giebelstube im Dach, in die der Vater des Königs seine Soldaten zum Ärger der Bürger einquartiert hatte. Die Häuser und die Ladenschilder: eine riesige Brille, die goldene Bäckerbrezel, die sich auf einem Sichelmond ausruhende Glie- derpuppe. Sie waren geblieben, und sie würden bleiben und das war gut so. Am Ende der Straße leuchtete im Licht einer sich durch Wol- kentürme kämpfenden Sonne das Leipziger Tor in dem vertrau- ten schwer satten Gelb. Auf der kleinen Platzanlage davor war die Tafel amCafé Annette verschwunden, auf der einem sowjetischen Oberleutnant dafür gedankt wurde, dass er in den letzten Kriegs- tagen Park und Schloss vor Zerstörungen bewahrt hatte. War die Rettungsaktion ins Reich der Legende verwiesen worden? Der Touristenstrom teilte sich hinter dem Leipziger Tor. Eine Gruppe zog in Richtung Haupteingang zum Park, eine andere zum Goldenen Gitter quer über den Leninplatz, der nun wie-

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