Jenes volle satte Gelb

8 einnahmen. Dass der, angeblich aus hygienischen Gründen, zugeschüttet worden war, hatte er gelesen. Er erinnerte sich an den fauligen Gestank, der im Sommer aus dem schlammigen Wasser stieg. Weil se den Kanal nicht mehr ordentlich durchspülen, sagte Omi, det muss ja stinken. Und denn die ollen Ratten. Vor Ratten gruselte er sich. Selbst bei Tag liefen sie über die Sand- steineinfassung, und einmal hatte er eine auf der Brücke ge- sehen, der Brücke mit den geschwärzten Figuren von Helden und Sklaven, die altmodische Gaslaternen trugen. Sie waren ihm damals gar nicht altmodisch, sondern ganz normal vorge- kommen. In der Wohnung gab es ja auch noch Gasbeleuchtung, jedenfalls in der Küche, und manchmal, wenn er sehr bettelte, tat Omi ihm den Gefallen und zündete sie an. Dazu brauch- te man einen Glühstrumpf, und Omi hatte noch welche von früher. Die Leitung ham se vajessen, sagte sie. Am Ende der Straße, wo die Schleuse zum Fluss, die man aus irgendeinem Grund stehen gelassen hatte, langsam verrottete, war ein winziges Stück des Kanals freigelegt worden. Es bot, trocken und voller Unrat, einen traurigen Anblick. Er wende- te und bald kam die grüne Kuppel der Stadtkirche über einem schäbigen Geschäftszentrum in sein Blickfeld. Aufatmend fuhr er darauf zu. Na also, es ging ja, er würde sich nicht in seiner Stadt verirren. Auf den Schock an der Stelle, wo die Ruine des Stadtschlos- ses gestanden hatte, war er nicht vorbereitet. Natürlich wusste er, dass der neue Staat sie gesprengt und die Trümmer beseitigt hatte, zu einer Zeit, als das Alte nichts mehr galt und man sich noch nicht am Preußenfimmel infiziert hatte. Das war in allen Zeitungen zu lesen gewesen. Und dass hier ein Theater gebaut wurde, war in Ordnung, das Schloss war unwiederbringlich ver- loren. Aber dem ungeschlachten Trumm, das sich vulgär in die Stadtsilhouette schob, sah man selbst als Rohbau noch an, dass sich mit ihm eine jetzt verschwundene Staatsführung ein Denk- mal setzen wollte, das in seiner kleinkarierten Großmannssucht leider nur zu genau den Geisteszustand seiner Erbauer wider-

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