Immobilien-Almanach 01

10 Vor gut einem Jahrzehnt identifizierten die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann, Die- ter Läpple und Walter Siebel drei zentrale Herausforderungen für die Stadtentwicklung des 21. Jahrhunderts: [3] erstens, die mit der Globalisierung einhergehend wachsende Un- gleichheit zwischen Städten und die zunehmende sozialräumliche Polarisierung in den Städten selbst; zweitens, die Privatisierung auf den Wohnungsmärkten und, drittens, die Anerkennung und Förderung der multikulturellen Realität bis hin zu Enklaven. Alle drei Prozesse (Auf- und Abwertung, Ausverkauf, Mischung) sind aktuell hochrelevante Gegenstände der Stadtpolitik. Nun bilden Städte mit ihren Zentren und Peripherien ein eigenes Handlungsfeld, das aus einer Vielzahl häufig unbeständiger Akteurskonstellati- onen, Regeln und Praktiken besteht. Auf zunehmende Ungleichheit wird entweder „von oben“ mittels geleiteter Strategien oder „von unten“ durch weniger gelenkte Interventio- nen reagiert. Anhand der neuenWohnungsfrage lassen sich diese Prozesse verdeutlichen. Die laufende Raumbeobachtung zeigt, dass Wachstumsdruck und starke Mietpreis- entwicklung mittlerweile nicht nur die „Big Seven“ unter den Städten in Deutschland kennzeichnet, sondern in zunehmendem Maße auch in den „kleinen“ Großstädten vor- handen sind. [4] Experten erwarten, dass die wachsenden regionalen Disparitäten in der Wirtschaftsstruktur bis 2030 zu einer weiteren Spreizung der Immobilienpreise führen werden, die die Städte bevorteilen und ländliche Regionen benachteiligen. [5] Im Folgenden gehen wir der Produktion von Zentren und Rändern in Städten nach. Berlin bietet sich als Beispiel an, da sich hier die Prozesse von Auf- und Abwertung, Aus- verkauf und Veränderung der Mischung in markanter Weise finden lassen. Sozialräumliche Polarisierung und Gentrifizierung Zwischen 1995 und 2015 nahm die Einkommensungleichheit in Deutschland zu; die Mit- te ist geschrumpft, die Ränder gewachsen beziehungsweise davon bedroht, abgekoppelt zu werden. [6] In den Stadtregionen ist die Polarisierung der Einkommen noch ausge- prägter als in ländlichen Gegenden, die Ungleichheit der Verteilung der Vermögen auf- fallend. [7] In Berlin stieg die Armutsquote seit 2006 kontinuierlich an, knapp ein Fünftel aller Stadtbewohner und knapp ein Drittel der Kinder unter 18 Jahren (im Haushalt der Eltern lebend, ohne eigenes Einkommen) lebten 2015 von Transferleistungen. [8] Viele Menschen nehmen eine zunehmende Segregation und Ausdifferenzierung in den Städ- ten wahr. Dies lässt sich auch empirisch nachweisen, in Bezug sowohl auf eine stärkere soziale wie auch ethnische Segregation. [9] In 59 der 77 Großstädte in Deutschland mit einer Einwohnerzahl über 100.000 Men- schen muss mit zunehmenden Spannungen auf dem Wohnungsmarkt gerechnet werden, so das Ergebnis einer kürzlich erschienenen Wohnungsmarktstudie. [10] Hiernach leben 60 Prozent aller Mieter in „leistbaren Wohnungen“ (für die weniger als 30 Prozent des jeweiligen Haushaltseinkommens aufgewendet werden müssen [11] ), davon bringt knapp die Hälfte weniger als 20 Prozent für die Miete auf. Die übrigen 40 Prozent verteilen sich hälftig auf Mieter, die mehr als 30 Prozent beziehungsweise mehr als 40 Prozent ihres

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